Südafrika in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Rachel Swartz ist gestorben, die Familie kommt zusammen, um Abschied zu nehmen. Die Kinder, Amor, Astrid und Anton, der Vater Manie. Die Tanten, Onkel und entfernteren Verwandten und natürlich, am Rande des Blickfelds, das dunkelhäutige Personal. Als Leser:in erhalten wir Einblick in Familienverhältnisse und politische Gegebenheiten in Südafrika in den letzten Zügen der Apartheid.

Diese Erkenntnisse wollen aber hart erarbeitet werden: Damon Galgut fordert seinen Leser:innen so einiges ab. Die Erzählung ist ein einziger Strom, ohne Satzzeichen. Die Erzählhaltung wechselt häufig, mal personal, mal auktorial, mal ist der Erzähler dicht dran an seinen Personen, schildert minutiös kleinste Details, mal schweift er ab, verliert sich in Gedanken, in Rückgriffen auf Erlebtes, mal beschreibt er größere Zusammenhänge oder hebt an zu einem philosophischen Exkurs oder politischem Kommentar. Und wenn wir uns gerade eingelesen haben, in eine der Personen, bricht der Erzählfluss ab. Zeitsprung. Das nächste Kapitel wird aus der Sicht einer anderen Person geschildert. Das ganze passiert vier Mal. Vier Kapitel, jeweils aus der Sicht einer Person, die Grundkonstellation bleibt immer gleich: die Familie kommt anlässlich eines Todesfalls zusammen, alte Konflikte brechen wieder auf, die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich geändert, ansonsten aber wenig, die Befindlichkeiten und Problematiken der Protagonist:innen bleiben davon unangetastet.

Damon Galgut beschreibt gut 30 Jahre südafrikanische Geschichte und behandelt dabei die großen menschlichen Themen: Schuld, Vergebung, Verantwortung, Aussöhnung. Es geht immer wieder um dieses eine gegebene ( und nie eingelöste ) Versprechen, an dem die Familie letztlich zerbricht.

Das Buch entwickelt bei aller Komplexität einen unglaublichen Sog, man ist gezwungen mitzudenken, mitzuerleben, die Lücken zu füllen. Herausgefordert - aber auch erfüllt von dieser wunderschönen Sprache. Ein großartiges Buch das verdienterweise den Man Booker Preis 2021 verliehen bekommen hat.

Bernhard Sinn

Damon Galgut, Das Versprechen, Luchterhand, 2021, 368 Seiten

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