Ich bin mir bei diesem Buch nicht sicher, wo ich es einordnen soll. Handelt es sich um eine Dystopie? Sicherlich im Hinblick auf die vorherrschende düstere und pessimistische Gesamtstimmung des Romans und der abgebildeten Gesellschaft. Andererseits sind viele der beschriebenen geheimdienstlichen Technologien und Möglichkeiten längst technisch umsetzbar oder gängige Praxis. Nicht umsonst spielt der Roman größtenteils in Israel. Wer also hier an die israelische Spähsoftware Pegasus denkt, ist sicherlich auf der richtigen Fährte.
Damit ist der Rahmen der Romanhandlung auch schon gesteckt: Es geht um Geheimdienste, Überwachung, das Hacken und Manipulieren von Handys und Computern. Der hoch talentierte junge Computerexperte Siv wird direkt von der Armee abgeworben, um für eine aufstrebende junge IT-Firma zu arbeiten, die sich auf Spähsoftware spezialisiert hat. Natürlich gerät er dort über kurz oder lang in das Spannungsfeld zwischen vermeintlich moralisch vertretbarer Bespitzelung aus gesellschaftlichem Interesse und Grenzüberschreitungen und Manipulationen aus rein wirtschaftlichem Kalkül. Durch sein großes Talent und entsprechenden finanziellen und sozialen Erfolg, kann Siv dieses moralische Dilemma anfänglich hervorragend ignorieren. Als er jedoch beginnt, auch ganz private Interessen mit den ihm plötzlich zur Verfügung stehenden Mitteln zu verfolgen, gerät er in einen Abwärtsstrudel, dem er sich nur schwerlich entziehen kann. Die Handlung explodiert förmlich, als auch die Gegenseite von seinen subversiven Machenschaften Kenntnis erhält…
Ein wirklich spannendes Buch, das mit zunehmender Lesedauer einen regelrechten Sog entfacht. Ich hätte im mittleren Teil auf die doch recht plakative Darstellung eines mehr oder minder fiktiven Schurkenstaats in Europa verzichten können und lieber mehr über die israelische Gesellschaft gelesen. Sei’s drum. Trotzdem eine kurzweilige Lektüre, die nachdenklich macht. Passt gut in die Gesellschaft von Anthony McCartens Going Zero: Ähnliches Thema, von der allgemeinen Stimmung allerdings düsterer.
Bernhard Sinn