Eigentlich war ich der Meinung, das Feld der Schul- und Internatsromane wäre ausreichend beackert, dem Thema nur schwerlich neue Aspekte abzugewinnen. Ich bemühe mich ja seit nunmehr fast vierzig Jahren, das Thema Schule hinter mir zu lassen. Mit zweifelhaftem Erfolg. Es gibt da einfach Erinnerungen, die wohl auf ewig präsent bleiben.
Genau diese Themen beschreibt Schachinger am Beispiel eines skurrilen, bisweilen archaisch anmutenden fiktiven Wiener Internats, des Marianums, einer Kaderschmiede der Wiener Eliten. Der Lehrplan scheint ewig gültig und absolut, Klassiker, Disziplin wird hoch gehalten. Besonderes Pech haben die Schüler:innen, die in die Fänge des Klassenvorstands Dolinar geraten, eines jener „Wahnsinnigen mit bürgerlichen Fassade, die…, nie von hier wegziehen könnten, weil ihr menschenfeindliches Verhalten in keiner anderen Stadt so wenig Konsequenzen hätte.“ Till ist einer von ihnen. Durchaus leidlich schulisch begabt, liegt sein eigentliches Interesse im Bereich Computerspiele, wo er sich in kürzester Zeit zu einem der weltbesten Age of Empires Profis entwickelt. Natürlich zu Lasten seiner schulischen Leistung und zum großen Ärger seines Lehrers. Es entspinnt sich eine erbitterte Fehde zwischen den Beiden und Till hat fortan besonders unter den schikanösen Methoden seines Lehrers zu leiden. Aber es gibt ja noch Mitschüler und besonders Mitschülerinnen, die im Laufe des Romans eine wichtige Rolle spielen. Es geht um Freundschaft und Liebe, um Familie, ums Erwachsenwerden, die klassischen Themen des Schulromans.
Schachinger kontrastiert hier jedoch sehr schön das klassische Bildungsideal mit der auf den ersten Blick freieren Welt des Online Gamings, die aber im Grunde einem ebenso festen Regelwerk folgt. Das ist spannend und lädt zum Nachdenken ein. Brauchen wir wirklich so ein starres schulisches Curriculum? Wie wichtig sind außerschulische Interessen und Erlebnisse für unser Leben? Getragen wird der Roman von einem hintersinnigen Humor und einem sehr feinem Stil, der mir großes Vergnügen bereitet hat. Eine gelungene, zeitgenössische Interpretation eines klassischen Themas.
Bernhard Sinn
Tonio Schachinger, Echtzeitalter, Rowohlt Verlag 2023, 368Seiten