"Ein Buch über alle Arten der Liebe", das sagt Rachel Elliott selbst über ihren neuen Roman Flamingo. Besser kann man das kaum ausdrücken.
Wohnung, Job, Verlobte, Daniel Berry verliert aus heiterem Himmel alles, was ihm bisher wichtig war, was ihn ausmachte und ihm Halt gab. Planlos irrt er durch die Straßen, er schläft unter freiem Himmel und das Geld geht langsam zur Neige. Ganz auf sich selbst zurückgeworfen. lässt er sein bisheriges Leben Revue passieren: seine Kindheit als Sohn einer jungen, alleinerziehenden Mutter, seine Jugend als Außenseiter, seinen beruflichen Erfolg als selbstständiger Maler, die, aus seiner Sicht, funktionierende Beziehung zu Erica. Alles Vergangenheit, alles verloren. Er erinnert sich aber auch an die glücklichste Zeit seines Lebens, als er mit seiner Mutter einige Jahre neben der etwas verrückten Familie Marsh gewohnt hat. Die lebenslustige, extrovertierte Sherry, der ruhig bis phlegmatische Leslie und ihre beiden Töchter, Rae und Pauline, haben Daniel und seine Mutter Eve damals praktisch in ihre Familie aufgenommen. Bis alles zusammen gebrochen ist und die beiden Hals über Kopf umgezogen sind, wie so oft in ihrem Leben. Und er erinnert sich an die drei Flamingos vor dem Haus, für Daniel das Sinnbild einer glücklichen Familie.
Also macht er sich auf den Weg in den Norden, nach Norfolk, um zu sehen, was von dieser Familie übrig geblieben ist und in wie weit das idealisierte Bild, das er von dieser Phase seines Lebens hat, der Realität entspricht.
Rachel Elliott arbeitet neben der Schriftstellerei auch noch als Psychotherapeutin und das merkt man diesem Buch an. Die Charaktere finde ich durch die Bank fein und aufmerksam gezeichnet, viele Bemerkungen sind weise und lebensklug. Manchmal schießt sie jedoch etwas übers Ziel hinaus, will Leserin und Leser zu viel 'erklären' und es wird etwas kitschig. Erstaunlicherweise hat mich das jedoch nicht gestört und mein Lesevergnügen in keinster Weise geschmälert. Flamingo ist ein durch und durch warmherziges, anrührendes Buch, das mich sehr bewegt hat. Gerade in der jetzigen Zeit durchaus angenehm, wie ich finde.
Bernhard Sinn