Ruth ist seit drei Jahren verwitwet. Ihr Mann starb bei einem Skiunfall, sie hat sich in ein neues Leben ohne ihn eingerichtet. Es gibt einen Sohn, der im Ausland studiert, einen 16-Jährigen, der Schule blöd findet und lieber ein aufregenderes Leben hätte, und eine schwangere Stieftochter, die sich über den Erzeuger beharrlich ausschweigt. Alle haben ein gutes Verhältnis zueinander, sie waren mal eine laute, lebenslustige Familie – jetzt ist alles anders. So kann es gehen im Leben.

Ruth wohnt auf dem Land in einem Haus, das ihr Mann mit eigenen Händen für seine Lieben gebaut hat. Sie könnte das Grundstück für sehr viel Geld verkaufen, damit ein reicher Wiener sich eine Villa draufsetzt. Dann wäre sie die Geldsorgen los, aber ihre Wurzeln und ein stabiles Stück Heimat auch. Also bleibt sie. Außerdem hat sie ein gut funktionierendes soziales Netz, das sich um sie kümmert.

Soweit scheint alles gemeistert. Wenn da nur diese Nachrichten nicht wären. Hässliche, beleidigende Mails, von immer neuen Fake-Accounts verschickt. Nicht nur sie selbst, sondern Freunde, Verwandte, sogar ihr Arbeitgeber bekommen diese Nachrichten, in denen Ruth diffamiert wird. Und obwohl natürlich alle beteuern, dem Dreck keinen Glauben zu schenken, hat Ruth doch das Gefühl, dass etwas hängen bleibt. Ein Zögern, eine Verunsicherung ihres Gegenübers. In den Mails stehen private Details, die nur jemand aus ihrem näheren Umfeld wissen kann. Ruth muss also nicht nur mit ihrer Trauer fertig werden, sondern vor allem mit diesen Nachrichten umgehen. Sich wappnen, um nicht davon zerstört zu werden. Wie sie das schafft und was am Ende dahintersteckt, wird eindrucksvoll beschrieben. Gar nicht mit Pathos oder Drama, sondern eher ruhig, aber so eindrücklich, dass man die ganze Zeit mitgeht und hofft, dass diese nervenzersetzende Belästigung und Belastung endlich vorbei ist.

Eine Frau, die sich nicht unterkriegen lässt. Die unbedingt daran festhält, sich ihr Leben nicht von dem Gift in den Nachrichten nehmen zu lassen, auch wenn sie manches mal ohnmächtig zusehen muss, wie es Einfluss auf ihre Freundschaften und ihr soziales Netz nimmt. Das hat mich beeindruckt und es ist eine absolute Leseempfehlung!

Bärbel Hanauske

Doris Knecht, Die Nachricht, Hanser Berlin 2021, 256 Seiten

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