Noch ein Debüt. Und noch ein Buch über eine Trennung (demnächst kommt noch eines, versprochen), wenn auch ein völlig anderes als das zuletzt vorgestellte von Annette Pehnt.

Hier wird die Ehe beendet, bevor sie richtig begonnen hat, so richtig ernst gemeint war der Entschluss zu heiraten und das Leben gemeinsam zu verbringen wohl doch nicht. So wie vieles nicht so richtig ernst gemeint scheint im Leben der Protagonistin in Esther Schüttpelz Roman. Gerade Mitte zwanzig, das Jurastudium so gut wie beendet, die Ehe gescheitert. Zu Anfang spürt die Erzählerin anscheinend kein großes Bedauern, so wie alle Gefühle seltsam oberflächlich vermittelt werden, wie gefiltert und immer schön auf Distanz gehalten. Ablenkung ist die Devise, Party, Leute, Alkohol und die Gedanken und Zweifel bloß nicht zu nah kommen lassen. Es beginnt ja eh ein neuer Lebensabschnitt. Nur dass das so eben nicht funktioniert. Verdrängung, sagt mein küchenpsychologischer Sachverstand, keine gute Idee. Natürlich kommt es dann auch zu einer handfesten Krise, in deren Verlauf die Erzählerin jedoch, genau wie das Buch, an Profil und Konturen gewinnt.

Wir erleben die Protagonistin im Verlauf der Erzählung zunehmend verunsichert und orientierungslos. Hin- und Hergerissen zwischen alten und bewährten Denk- und Verhaltensmustern und neuen Strategien und Perspektiven, findet sie nach und nach zu einer neuen Ehrlichkeit und Verbindlichkeit im Umgang mit sich und erkennt das Ausmaß ihrer Lebenskrise vor sich selbst an. Das ist ja bekanntlich der erste Schritt...

Esther Shüttpelz gelingt es in ihrem Debüt ganz hervorragend, den Leser:innen die Gefühlswelt ihrer Protagonistin zu vermitteln. Auch wenn ich mich in einer völlig anderen Lebensphase befinde, habe ich doch mitgelitten und diese Lebenskrise mit durchlebt. Und letztlich gleichen sich doch fast alle Lebenskrisen, oder? Bevor jetzt der Küchenpsychologe in mir doch noch Tribut fordert, höre ich einfach auf und empfehle dieses schöne und berührende Buch wärmstens allen Leser:innen, die sich auf eine spannende und unterhaltsame emotionale Achterbahnfahrt einlassen möchten...

Bernhard Sinn

Esther Schüttpelz, Ohne mich, Diogenes Verlag, 2023 , 208 Seiten

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