Der neue Roman von Hernan Diaz macht es der Leserin/dem Leser anfänglich nicht leicht, überaus sperrig ist der Beginn: Ein Roman im Roman, „Verpflichtungen“, verfasst von einem gewissen Harold Vanner, beschreibt das Leben seines Protagonisten Benjamin Rask. Ein sehr erfolgreicher Börsenmakler und Investor an der Wall Street, zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Beginnend mit seiner Kindheit und Jugend als hochbegabte aber eigenbrötlerische Person und seiner immensen finanziellen Erfolge, rückt zunehmend seine Ehe, beziehungsweise sein Verhältnis zu seiner ebenso veranlagten Frau Helen in den Fokus der Erzählung. Eine Ehe, die durch Helens psychische Erkrankung auf eine harte Probe gestellt wird und mit ihrem jähen Ableben endet. Genau wie die Erzählung und somit der erste Teil des Buches.
Der zweite Teil ist die Autobiografie Andrew Bevels, ebenfalls ein sehr erfolgreicher Investor und Herrscher über ein fein verästeltes Finanzimperium. Auch er hochbegabt, mit leichten Zügen eines Soziopathen und verheiratet mit Mildred, die seine Begabungen und Fähigkeiten teilt, ihre Berufung aber im kulturellen Gesellschaftsleben findet und unzählige Stiftungen im Bereich Musik und Literatur gründet und finanziert. Auch dieser Teil endet mehr oder weniger mit Mildreds Tod. Die ganze Autobiografie wird uns eher fragmentarisch, in Form von Skizzen und Aufzeichnungen nähergebracht und trotz der augenfälligen Ähnlichkeiten der beiden Geschichten, beginnen sich anhand kleiner Details, Zweifel an der Verlässlichkeit des Erzählers oder an der Authentizität des Erzähltem einzunisten.
Der dritte Teil bricht nun völlig mit dem bisherigen Muster. Dieser erzählt von den Erinnerungen einer Schriftstellerin namens Ida Partenza an ihre Jugend und ihre ersten beruflichen Gehversuche, die sie als persönliche Sekretärin zu Andrew Bevel und in sein Finanzimperium führten. Neben den sehr interessanten Nebensträngen, in denen Ida von ihrer Loslösung von ihrem Vater, eines italienischen Druckers und überzeugten Anarchisten erzählt, wird erneut über das Finanzgebaren Bevels und über dessen Ehe mit Mildred berichtet. Dieser Teil wirft noch einmal ein völlig anderes Licht auf die Beziehung der Beiden und auf die Umstände, die letztlich zu Mildreds Tod geführt haben.
Und dann ist da noch der vierte Teil... Diesen zu verraten, würde dem Buch viel von seiner versiert aufgebauten und stetig steigenden Spannung nehmen, deshalb sei nur so viel gesagt: am Ende wird das ganze Puzzle kunstvoll zusammen geführt und dem ganzen Roman eine völlig andere Perspektive gegeben. Was als Beschreibung der Finanzwelt in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts beginnt, endet letztlich als Parabel über Geschlechterverhältnisse, Emanzipation und männliche Geschichtsschreibung. Ein überaus lohnenswertes Buch und eine sehr spannende Lektüre.
Bernhard Sinn