Ein wohlklingender Titel auf mohnblumengeschmücktem Cover lässt eine süße, romantische Geschichte vermuten. Weit gefehlt!

Wir werden mitgenommen auf eine ungewöhnliche Reise in das entlegene Dorf Malvita in der Toskana.

Christina, Studentin und Hobbyfotografin, wohnt mit ihrer Mutter beengt in einem Mehrfamilienhaus. Zu ihrem Vater hat sie in ihrer Kindheit den Kontakt abgebrochen, nachdem die langweiligen Treffen bei McDonalds keinen Sinn mehr ergaben. Auch ihre engsten Freund:innen enttäuschen sie bitter.

Nachdem ihre Mutter ihr eine teure Kamera schenkt und sie überraschend den Auftrag bekommt, auf der Hochzeit ihrer Kusine zu fotografieren, fährt sie zu ihrer bis dahin unbekannten, reichen Verwandtschaft nach Italien.

Die liebliche Landschaft der Toskana täuscht. Malvita ist menschenleer, die Gebäude marode.

Angekommen an einer grotesk riesenhaften Villa nahe des Dorfes stolpert die Protagonistin in das Leben ihrer perfekt gestylten, wortkargen Kusinen. Christina ist einigermaßen eingeschüchtert. Sie ahnt noch nicht, dass sie ihren wachen Verstand benötigt, um den Geheimnissen der Familie Esposito auf die Spur zu kommen.

Richtig. Letztlich ist Diwiaks Roman ein Krimi. Doch nicht nur das. Es ist ein Roman voller unvorhersehbarer Ereignisse und surrealer Bilder mit einer comichaften Zeichnung der Figuren.

Irene Diwiak ist eine große Erzählerin. Ihre Sprache, die die Bodenhaftung nicht verliert, nahm mich mit in eine stellenweise grauenhafte Geschichte. Ich wurde sachte mit zwischenmenschlichen Abgründen und den Machtverhältnissen der Geschlechter konfrontiert. Kein Psychoterror und keine spitzfindigen kriminaltechnischen Ideen eigenwilliger Kommissare störten das Lesevergnügen einer Nichtkrimileserin.

Heike Ruhe-Riemenschneider

Irene Diwiak, Malvita, Zsolnay Verlag, 2020, 304 Seiten

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