Allerbeste Unterhaltung mit Tiefgang.
Nach der Trennung von ihrem langjährigen Partner landet Greta mehr oder weniger unfreiwillig in der Kleinstadt Hudson. Sie wohnt bei einer Freundin in einem völlig heruntergekommenen, steinalten Haus mit allerlei tierischen Mitbewohner:innen und schlägt sich durch, indem sie Sitzungsprotokolle für den ortsansässigen Sexualtherapeuten Om(!) transkribiert. Das bleibt in einer Stadt, in der jede jeden kennt, nicht ohne Folgen und führt zu allerlei Verwicklungen. Besonders fasziniert ist sie von einer Klientin, die sie aufgrund ihrer schweizerischen Herkunft Big Swiss nennt. Greta kennt nur ihre eindrucksvolle Stimme und ist fasziniert von ihrer Weigerung, sich von ihrem Trauma definieren zu lassen, wie sie es ausdrückt: Big Swiss wurde vor einigen Jahren von einem Mann fast zu Tode geprügelt.
Natürlich begegnen die beiden sich zwangsläufig, verlieben sich ineinander, obwohl Big Swiss verheiratet und Greta sehr bemüht ist, den Umstand zu verheimlichen, dass sie durch die Transkriptionen etliche intime Details aus dem Leben ihrer neuen Freundin bereits kennt. Nicht ganz leicht.
Dazu kommt der Umstand dass die beiden verschiedener kaum sein könnten. Greta ist fast zwanzig Jahre älter, lebt in prekären Verhältnissen und musste früh den Selbstmord ihrer Mutter verkraften. Big Swiss ist Gynäkologin mit eher esoterischem Familienhintergrund. Die Eine ist völlig chaotisch und unfähig Struktur zu halten, die Andere ist der totale Kontrollfreak. Leicht vorstellbar wie das ganze endet…
Jen Beagin hat mit Greta, aber auch mit einigen Nebenrollen, wunderbar menschliche Akteure geschaffen, die man einfach lieben muss. Das Buch strotzt vor skurrilen Einfällen, wenn beispielsweise Greta Oms Sitzungen transkribiert und gleichzeitig kommentiert. Das ist zum Schreien komisch. Gleichzeitig verhandelt das Buch viele ernste und wichtige Themen wie Sexualität, Klassismus, prekäre Arbeitsbedingungen, Geschlechterrollen, familiäre Gewalt und Traumata auf so liebevolle und komische Weise, ohne sie dadurch zu bagatellisieren. Das ist große Erzählkunst.
Bernhard Sinn