Wie ist es, heute jung zu sein? Man muss den ganzen Mist in der realen Welt aushalten und Social Media kommt noch obendrauf.

Sie ist 16. Almette geht zur Schule. Sie hat eine beste Freundin. Sie hat engagierte Eltern, die nur das beste für ihr einziges Kind wollen. Natürlich hat sie auch einen eignen TikTok-Account mit dem sprechenden Namen saycheese. Ist halt ein bisschen Pech, wenn die Eltern eine ausgerechnet nach einer Käsesorte benennen. Soweit alles normal. Wie bei vielen in der Pubertät.

Nur dass Almette hochbegabt ist und damit fern von ihren Mitschüler:innen. Einzig ihre beste Freundin ist ihr nah. Gewesen. Die beiden haben sich entfremdet und jetzt ist da niemand mehr. Neulich hat sie die Nerven verloren und sich auf die U-Bahn-Gleise geworfen. Sie wurde gerettet, aber ihre Welt ist alles andere als in Ordnung. Sie muss zwangsweise zur Psychologin. Sie soll zwangsweise neue Freund:innen finden. Alles ist immer noch furchtbar.

Immerhin: Ihre Suicide-Stories live auf TikTok haben sie kurz berühmt gemacht. Die Klicks und Likes waren durch die Decke gegangen. Jetzt müsste sie weiter krasse Sachen posten, aber es klappt irgendwie nicht so richtig und viele von ihren neuen Followern sind schon wieder weg. Da trifft sie Jo. Er hat nicht nur eine Idee für Mette, sondern einen kompletten Plan. Mette ist seine Chance und er nutzt sie.

Wenn man sich fragt, wie auch kluge Menschen anfällig sein können für Manipulation und Radikalisierung, dann hat Julia von Lucadou eine Antwort. Wir sehen die Welt durch Mettes Augen und mit Jos hasserfülltem Blick. Dieses Buch ist erhellend, witzig, beklemmend, politisch, spannend. Keine Wohlfühlroman, aber eine absolut lohnende Lektüre.

Bärbel Hanauske

Julia von Lucadou, Tick Tack, Hanser Berlin 2022, 256 Seiten

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