Sie ist meine Schwester – aber wie gut kenne ich sie wirklich?

Diese Frage muss Iulia sich stellen, als ihre geliebte Schwester Lone nach einem schweren Verkehrsunfall im Koma liegt. In der letzten Zeit hatten sie sich gar nicht mehr so viel gesehen. Haben sie überhaupt noch offen gesprochen? Iulia hat jedenfalls nichts von der Starre in ihrem Innern erzählt, vom Eingesperrt-Gefühl, vom perfekten Ehemann, der ihr zunehmend auf die Nerven geht. Und was weiß sie eigentlich über das Leben ihrer Schwester? Als selbständige Hebamme immer eingespannt, das ist klar. Aber wie läuft es mit den Finanzen, der Liebe, dem Leben? Und was ist vor fünf Jahren im Krankenhaus vorgefallen, dass Lone ihren sicheren Job hingeworfen hat?

Lone hat eine Liste mit Patientinnen vor oder nach einer Hausgeburt, denen Iulia die Nachricht vom Unfall persönlich überbringt. Dabei lernt sie, dass es eine Lebenswelt gibt, so ganz anders als ihre eigene. Eine Welt voller Wärme, Lebendigkeit, gelebten Gefühlen. Das will Iulia auch. Doch wie soll das gehen und was bedeutet das konkret?

Hier haben wir eine Frau, die es eigentlich gut hat. Und auch wieder nicht. Während ihre Schwester zwischen Leben und Tod steht, findet sie endlich die Kraft, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Ich habe sie gerne dabei begleitet, eine sympathische und durchaus auch witzige Person.

Ich wollte gar nicht mehr aufhören zu lesen in diesem kalten Frühjahr. Eine unterhaltsame Geschichte, die die großen Fragen nicht ausspart – und die im Hochsommer spielt: Licht, Sonne, Hitze. Genau das Richtige für diese klamme Zeit!

Bärbel Hanauske

Mareike Krügel, Schwester, Piper 2021, 336 Seiten

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